Der Instinkt als Lebensführer

Juni 1949
Dr. med. homöop. Heinrich Will (1891-1971)

Zur Zeit unserer Großväter gab es auf dem Lande eine sehr gesunde Sitte: wenn der Bauer sich erkältete, legte er sich solange ins Bett, bis die Erkältung vorüber war. Dies zeugt von einer Instinktsicherheit, wie sie heute leider nur noch selten zu finden ist. Heute sind die Menschen so sehr in das Geschäfts- und Gesellschaftsleben verstrickt, dass sie sich mit einem Schnupfen oder einer Magenverderbnis, nicht mehr ins Bett legen können oder wollen. Das ist bedauerlich, unter Umständen sogar gefährlich. Viele chronische Krankheiten und Siechtümer fangen nämlich einmal mit einem ganz kleinen Übel, einem Schnupfen, einem Husten, einem Darmkatarrh an.
Mit einer solchen Ausscheidungskrise wollen Stoffwechselgifte, die sich im Lebensprozess angesammelt haben, den Körper verlassen, damit er wieder heil wird.

Vor dieser Ausscheidung geht im Körper ein chemischer Umwandlungsprozess vor sich, welcher die Stoffwechselgifte in eine ausscheidungsfähige Form bringt, in unserem Fall in Nasenschleim, Bronchialsekret oder Durchfall. Zu diesem chemischen Prozess gehört Wärme. Manchmal erzeugt der Körper diese Wärme selbst als Fieber, das uns ins Bett zwingt. Leichtere Fälle verlaufen jedoch ohne Fieber, und dann müssen wir uns eben einige Tage in eine künstliche, gleichmäßige Wärme begeben, damit die Gifte richtig ausgebrütet und ausgeschieden werden können. Geschieht dies nicht, dann sammeln sie sich im Körper an und führen zu jenen schweren Krankheiten, vor denen wir uns so sehr fürchten und die erst überhand genommen haben, seit wir den Instinkt verloren und keine Zeit mehr zum Ausbrüten der kleinen Gifteier haben.

Der Instinkt ist eine Eigenschaft der Seele. Wenn die Seele ihr Gleichgewicht verliert, geht auch der Instinkt verloren und damit der beste Regulator für vieles körperliche Geschehen. Instinkt verloren – alles verloren! Was uns ein sicherer Instinkt von innen heraus sagt, das kann kein noch so großes Hirnwissen ersetzen. Die Tiere, die ja ganz instinktiv leben, sind gesünder als die Menschen. Was können wir tun, um unseren Instinkt zu erhalten oder wiederzugewinnen? Sollen wir etwa auf Denken und Berechnen verzichten? Keineswegs!

Aber wir müssen den Ausgleich finden zwischen dem, was das irdische Leben von uns verlangt, und dem, was wir unserem Innern, dem göttlichen Drang, schuldig sind: wir müssen die Seele ruhig und stark machen, damit sie die Harmonie zwischen Geist und Leib herstellt. Wir müssen uns über den Alltag erheben und das wahre Menschsein nicht in Geschäft und Gesellschaft erkennen, sondern in einer geistigen Mission, die wir in den Alltag hineintragen sollen:

die Liebe, welche vom Geist durch Seele und Leib in unsere Taten und Werke hineinfließen soll und deren Ausübung zur inneren Harmonie führt. Ein harmonischer Mensch hat einen guten Instinkt, und ein guter Instinkt ist ein Führer zu Gesundheit und Glück.

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