Dr. med. homöop. Heinrich Will (1891-1971), [26/01/2023 9:21]
Januar 1954
Dr. med. homöop. Heinrich Will (1891-1971)
Über Harnsäure als Ursache von Krankheiten wird im Volke viel gesprochen. Wir verdanken unsere Kenntnisse von der schädlichen Wirkung der Harnsäure den Forschungen des englischen Arztes Dr. Haig, die dieser vor Jahrzehnten durchgeführt hat. In umfassenden Versuchsreihen stellte er fest, dass ein mit Harnsäure überladener Mensch zu Krankheiten aller Art neigt, und dass übermäßiger Fleischgenuss die Ursache der Harnsäurebildung ist. Er selbst und mehr noch seine fanatischen Anhänger haben daher in der Folge die fleischlose Kost als beste Vorbeugung von Krankheiten propagiert mit dem Erfolg, dass viele Menschen Vegetarier wurden und vielen anderen beim Genuss von Fleisch und Wurst zumindest das Gewissen schlägt.
Heute, nach Jahrzehnten der Praktizierung, muss man feststellen, dass an der Harnsäure-Theorie etwas nicht stimmen kann. Denn einmal sind die Vegetarier im Durchschnitt keineswegs gesünder als die Fleischesser, und dann findet man unter den stärksten Fleischessern, z.B. oberbayerischen Bauern und Waldarbeitern, die gesündesten und kräftigsten Menschentypen.
Wer also glaubt, allein durch fleischlose Kost seiner Gesundheit zu dienen, ergibt sich einer Illusion. Wo liegt der Fehler? Er liegt einerseits in der einseitigen chemischen Betrachtungsart von Gesundheitsfragen, andererseits in der Nichtbeachtung des tieferen menschlichen Wesens.
Richtig ist, dass aus Fleisch Harnsäure entsteht und deren Übermaß gesundheitsschädlich ist. Unterbindet man aber die Säurebildung, dann nimmt deren Gegenteil, die alkalische Base, überhand, die ebenfalls krankmachend wirkt. Während das Überwiegen der Harnsäure mehr entzündliche Krankheiten hervorruft, verursacht das überwiegen der Basen mehr die chronischen Siechtümer, darunter z.B. Krebs. Säuren und Basen müssen sich also etwas das Gleichgewicht halten und zwar am besten so, dass die Säuren leicht überwiegen.
Wer aber nun mit dem Rechenstift kommt und seine Nahrung chemisch genau danach berechnen wollte, der würde wiederum eine Enttäuschung erleben. Denn der Körper ist eben kein Mechanismus, sondern ein Instrument, dessen Funktionen von Kräften gelenkt werden, die aus dem geistig-seelischen Wesensteil des Menschen kommen. Die Stärke der Lebenskraft ist es, welche das Säure-Basen-Verhältnis regelt und imstande ist, Überschüsse beider Teile auszuscheiden oder auszugleichen. Die Lebenskraft ist desto stärker, je mehr sich der Mensch in seiner Seele, d.h. in seinem Denken, Fühlen und Wollen, im Gleichgewicht befindet.
Diese seelische Harmonie ist aber abhängig von der geistigen Haltung, d.h. davon, dass wir uns unseren göttlichen Ursprungs und unserer geistigen Lebensaufgabe, nämlich der Entwicklung zu selbstloser Liebe und entsprechendem Handeln bewusst werden. Wenn wir etwas für unsere Gesunderhaltung tun wollen, dann dürfen wir unsere Lebensweise nicht nach den kleinlichsten materiellen Spitzfindigkeiten ausrichten, sondern müssen die größten und geistigsten Maßstäbe anlegen, sonst verrennen wir uns in Illusionen, die immer gefährlich sind.